Technologien werden den Klimawandel nicht rückgängig machen

Eine Testanlage der Schweizer Firma Climeworks in Island, die CO2 aus der Luft filtert. Bild: Arni Saeberg/ Climeworks / The Helena Group Foundation / CC BY-SA

Eine Testanlage der Schweizer Firma Climeworks in Island, die CO2 aus der Luft filtert. Bild: Arni Saeberg/ Climeworks / The Helena Group Foundation / CC BY-SA

Ingenieurskunst soll helfen, das Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre zurückzuholen und so den Klimawandel aufhalten. So die Hoffnung. Doch die neuen Technologien vermitteln ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.

Warum man sich nicht immer auf die Forschung verlassen kann

Eine neue Studie überprüft berühmte Forschungsresultate der Sozialwissenschaft. Das Ergebnis: Viele Annahmen über menschliches Verhalten stimmen wohl doch nicht.

«Der Denker» bringe die religiöse Überzeugung ins Schwanken, sagte 2012 eine Studie. Doch statt Zweifel am Glauben gibt es nun Zweifel an der Seriösität der Forschung. Bild: Daniel Stockman/ CC BY-SA

«Der Denker» bringe die religiöse Überzeugung ins Schwanken, sagte 2012 eine Studie. Doch statt Zweifel am Glauben gibt es nun Zweifel an der Seriösität der Forschung. Bild: Daniel Stockman/ CC BY-SA

Warme Winter, leere Netze

Berufsfischer am Zürichsee fangen weniger Fisch. Schuld ist der Klimawandel. Bild: Wikimedia commons/ Roland zh

Berufsfischer am Zürichsee fangen weniger Fisch. Schuld ist der Klimawandel. Bild: Wikimedia commons/ Roland zh

Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich auch im Zürichsee: Die Fischbestände schwinden und ein giftiges Bakterium breitet sich immer mehr aus.

Adrian Gerny ist Berufsfischer aus Leidenschaft. Sechsmal pro Woche legt er seine Netze im Zürichsee aus, seine Arbeitstage sind lang: fangen, filetieren, verpacken, ausliefern. Alles macht er selbst. Und doch kämpft er ums Überleben. Seit zwei Jahren gehen den Fischern am Zürichsee immer weniger Fische ins Netz, besonders weniger Felchen, die sogenannten Brotfische der Fischer. «Ich mache ungefähr zwei Drittel meines Umsatzes mit diesen Fischen», sagt Gerny, Präsident der Berufsfischer am Zürichsee. Sein Ertrag an Felchen schrumpfte 2017 über die Hälfte im Vergleich zu 2015. «Ich habe schon Mitarbeiter entlassen müssen», erzählt er. «Ohne Zukäufe von Kollegen müsste ich zumachen.» Was ist los mit den Felchen im Zürichsee? LimnologInnen der Universität Zürich haben kürzlich eine Langzeitstudie veröffentlicht, die verschiedenste Umweltparameter und Organismen im See über dreissig Jahre hinweg beobachtet hat. Die Resultate der ForscherInnen, die sich mit Binnerngewässern beschäftigen, legen den Schluss nahe, dass die Fische zu wenig zu Fressen haben. Seit 2013 fehlt dem Zürichsee eine wichtige Quelle im Nahrungskreislauf: Kieselalgen und sogenannte Cryptomonaden. Diese Organismen wachsen normalerweise im Frühling in Massen. Man spricht von einer Algenblüte. Doch diese ist seit nunmehr fünf Jahren verschwunden. Algen sind sozusagen der Aperitif im grossen Fressen-und-Gefressen-Werden des Sees. Ohne sie gibt es weniger tierische Einzeller und Kleinkrebse. Von diesen aber ernähren sich Fischlarven. Haben diese nichts mehr zu fressen, macht sich das drei bis vier Jahre später, wenn die Tiere herangewachsen sind, im Netz des Fischers bemerkbar.

Das Problem mit dem Phosphor

Die eigentliche Frage lautet also: Weshalb sind die Algen aus dem Zürichsee verschwunden? Zum Wachsen brauchen sie gelösten Phosphor, und davon hat es normalerweise zehn bis zwölf Mikrogramm pro Liter im Oberflächenwasser. Doch dort ist der Nährstoff seit fünf Jahren kaum mehr nachzuweisen. Dass dem Zürichsee Nährstoffe fehlen mag überraschen, denn lange Zeit war das Gewässer überdüngt. In den Siebziger Jahren trugen Abwässer zu viele Nährstoffe in den See, vor allem Phosphate aus Waschmitteln. Die Algenblüte die heute fehlt, war damals ein Zeichen der Überdüngung. Der Fischfang boomte. Dann ergriff der Bund Massnahmen zum Gewässerschutz. Die Berufsfischer am Zürichsee behaupten seit dem Einbruch ihrer Fangquoten immer wieder, dass zu viel Phosphor aus dem Abwasser gefiltert würde. Gemäss Gesetz müssen Kläranlagen mindestens 80 Prozent des Phosphors aus dem Abwasser filtern. Faktisch würden aber 95 bis 97 Prozent entfernt, so Gerny. Das sei einer von mehreren Gründen für die schwindenden Fischerträge. Thomas Posch, der die Langzeitstudie in Zürich leitete, widerspricht: «Im See gibt es genug Phosphor. Das Problem ist nur: Er sitzt am Seegrund fest.» Normalerweise kommt der Nährstoff vom Grund an die Oberfläche, wenn sich der See im Frühling durchmischt. Bis an die tiefste Stelle, 136 Meter unter dem Wasserspiegel, dringt dann das Oberflächenwasser. Doch seit 2013 hat der See aufgehört, sich vollständig zu durchmischen, wie die Zürcher Limnologen herausgefunden haben. Im Jahr 2016 mischten sich nur noch die oberen 60 bis 70 Meter. Grund dafür ist die Klimaerwärmung. Die Temperatur am Zürichsee hat sich seit den Siebziger Jahren um zweieinhalb Grad Celsius erhöht. In den Frühlingsmonaten lag sie in den vergangenen Jahren sogar bis zu sechs Grad über dem Langzeitmittel. Als Folge davon bleibt die obere Wasserschicht des Sees im Winter zu warm und kann sich deshalb im Frühling nicht mit dem kalten, schweren Tiefenwasser mischen. Wie ein Ölschicht sitzt das Oberflächenwasser dann auf dem See.

Böse Burgunderblutalge

«Der Zürichsee ist ein schönes Beispiel dafür, wie der Klimawandel einen See über einen kritischen Punkt hinaus verändert», sagt die Geologin Catherine O’Reilly von der Illinois State University. «Und zwar so, dass das Fehlen der kompletten Durchmischung die neue Normalität ist.» So ist es schon dem Lago Maggiore und dem Gardasee ergangen. Sie mischen sich nur alle paar Jahre. Auch weltweit erwärmen sich Seen jedes Jahrzehnt um 0.34 Grad, stellten O’Reilly und ihre KollegInnen in einer Studie aus dem Jahr 2015 fest. Dass die Erwärmung des Zürichsees dazu führt, dass er sich nicht mehr komplett durchmischt, sei an sich nicht überraschend, findet Dietmar Straile von der Universität Konstanz. «Aber dass der Oberflächenphosphor ganz weg ist und die Algenblüte so ganz und gar ausbleibt, das hat mich doch sehr überrascht.» Der Limnologe weist auf ein weiteres Problem hin: Wegen der fehlenden Umwälzung kommen nicht nur weniger Nährstoffe nach oben, sondern es gelangt auch weniger Sauerstoff in die Tiefe. Unter dem Sauerstoffmangel dort leiden aber Bodenlebewesen und mancher Fischlaich. Bedroht ist also auch die Artenvielfalt im See. Und damit noch nicht genug: Seit 2012 macht sich eine giftige Bakterienart, die sich in nährstoffarmem, warmem Wasser wohl fühlt, im Zürichsee breit. Die Bakterienart heisst Planktothrix rubescens, auch Burgunderblutalge genannt, obwohl sie keine Alge ist. Weil der See sich nicht mischt, stirbt Planktothrix nicht mehr ab. Im Frühling haben diese Bakterien so einen Startvorteil gegenüber Algen und fressen ihnen den Phosphor weg. Ganze 80 Prozent des ohnehin schon knappen Nährstoffs stecken in den Mikroben. Das ist ein Problem, denn Planktothrix produziert ein Gift, das so toxisch ist wie das Gift der Kobra. Darum haben die Bakterien kaum Frassfeinde. Für den Nahrungskreislauf im See bedeutet das: Sackgasse.

Mehr Aufwand für Trinkwasserqualität

Das ist nicht nur schlecht für Fische. Auch die Trinkwasserversorgung ist darauf angewiesen, dass das Nahrungsnetz im See funktioniert. Denn das ist wichtig für die Selbstreinigungskraft des Gewässers. «Je besser der See eingetragene Stoffe selber abbaut, desto weniger müssen wir nachbessern», sagt Oliver Köster von der Zürcher Trinkwasserversorgung. Immerhin besteht das Zürcher Hahnenwasser zu 75 Prozent aus Seewasser und versorgt 1.5 Millionen Menschen. Als Gefahr für die Trinkwasserqualität erachtet Köster Planktothrix nicht: «Das Gift können wir durch Ozonbehandlung vollständig aus dem Trinkwasser entfernen.» Bis jetzt hätten die Veränderungen im See keine Auswirkungen auf das Trinkwasser gehabt, sagt er, aber man beobachte die Situation sehr genau, um rechtzeitig reagieren zu können. Auch wer beim Baden im Sommer versehentlich etwas Zürichseewasser schluckt, braucht sich keine Sorgen zu machen. Denn dann lebt das giftige Bakterium in 10 bis 12 Metern Tiefe. Aber im Herbst steigen die Bakterien an die Oberfläche und werden als rote Schlieren im Uferbereich sichtbar. «Direkt konsumieren sollte man dieses Wasser dann nicht mehr», sagt Thomas Posch. Tun kann man gegen das Werk des Klimawandels am Zürichsee herzlich wenig. Technische Lösungen wie die künstliche Umwälzung des Sees finden weder beim Bundesamt für Umwelt noch bei ForscherInnen Anklang. Denn der Aufwand ist gross und ob es wirklich klappt, ist ungewiss. «Ich hoffe einfach», sagt Posch, «dass es mal wieder zu einem kalten Winter kommt und der See sich mischt.» Die sehr kalten und windigen Tage der letzten Wochen haben fast gereicht. Bis in 100 Meter Tiefe mischte der See bisher. Fischer Adrian Gerny und seine Kollegen hoffen, dass sich der See in den kommenden Wochen tatsächlich umwälzt. Denn momentan können sie kaum noch von ihren Fangerträgen leben. «Einige meiner Kollegen halten sich mit Nebenjobs über Wasser», sagt Gerny. «Ohne die müssten sie die Fischerei aufgeben.»

Drohnen fliegen im Dunkeln

Eine autonome Drohne mit "Event"-Kamera. Bild: UZH

Drohnen können nun im Dunkeln und ohne GPS fliegen. Dass haben ihnen Zürcher Forscher beigebracht.

Es ist erstaunlich wie akkurat die Drohne im FlyRoom der Universität Zürich ihre Runden zieht. Erstaunlich, weil sie es selbstständig, ohne menschliche Steuerung und ohne Hilfe des Globalen Positionierungssytems GPS tut. Denn dieses funktioniert in geschlossenen Räumen nicht. Stattdessen nutzt die Drohne zur Orientierung eine Kamera und einen Bordcomputer. «Wenn ich jetzt das Licht ausschalten würde, würde so eine Drohne normalerweise die Orientierung verlieren, denn die Kamera braucht Licht», sagt Henri Rebecq, Doktorand in der Robotics Perception Group von Professor Davide Scaramuzza. Sekunden später schaltet Henri das Licht aus, und es passiert: nichts. Die Drohne bleibt auf Kurs. Denn sie trägt einen neuartigen Sensor, der es ihr erlaubt sowohl bei Tag- als auch bei Schummerlicht zu fliegen. Dieser Sensor ist so gross wie ein Zigarrenstummel und besteht aus einer normalen Kamera und einer sogenannten «Event»-Kamera, die nur Helligkeitsunterschiede detektiert.

Hilfe bei Erdbeben

Dank des neuen Sensors kann die Drohne autonom fliegen. Sie muss nicht von Menschen gesteuert werden. So könnte sie nach einem Erdbeben in kollabierte Gebäude fliegen um dort nach Überlebenden zu suchen. Bei Rettungs- und Bergungsaktionen könnte sie helfen, da die autonome Drohne schnell in unwegsamem Gelände vorwärtskommt. Alternativen zu der «Event»-Kamera wären Wärmebildkameras. Doch die haben den Nachteil, dass sie nur Dinge erkennen deren Temperatur sich unterscheidet. Und: bei hoher Geschwindigkeit liefern sie verwackelte Bilder.

Am menschlichen Auge abgeguckt

«Die «Event»-Kamera ist so schnell, dass sie selbst bei einer Geschwindigkeit von 700 km/h noch scharfe Bilder macht», erklärt Scaramuzza. Denn die Kamera, die 2014 an der Universität Zürich entwickelt wurde, funktioniert nicht wie normale Kameras, die kontinuierlich Bilder aufnehmen. Sie macht nur dann ein Bild, wenn sich etwas in der Helligkeit der Szenerie ändert. Dieses Prinzip haben sich Forscher am menschlichen Auge abgeguckt: Hier treffen Lichtteilchen auf Fotorezeptoren, aber erst eine bestimmte Anzahl von Lichtteilchen löst einen Nervenreiz aus. Bei der «Event»-Kamera treffen Lichtteilchen auf Pixel, die nur dann ein Signal liefern, wenn sich die Anzahl der eintreffenden Lichtteilchen verringert oder erhöht.

Indem die neu entwickelte Kamera nicht ständig Bilder schiesst, spart sie auch Strom. Das ist wichtig, damit Drohnen, die auf eine Batterie angewiesen sind, länger in der Luft bleiben können, erklärt Guido de Croon von der Technischen Universität Delft in den Niederlanden. Er forscht ebenfalls an autonom fliegenden Drohnen und hält die Arbeit von Davide Scaramuzza für bahnbrechend und vielversprechend zum Beispiel für Anwendungen in der Landwirtschaft. Hier könnte eine Drohne dank des neuen Sensors lange Zeit über einem Feld schweben.

Facebook ist interessiert

Bereits interessiert sich auch Facebook für Scaramuzza´s Sensor. Die Facebook-Tochter Oculus arbeitet in der Schweiz an Virtual-Reality-Brillen. Mit solchen Brillen kann man sich in einer virtuellen Umgebung erleben, zum Beispiel in einem Videospiel. Doch für den 3D Effekt der Brillen braucht es bisher externe Kameras, die man zum Beispiel im Wohnzimmer aufhängt. Wäre der neue Sensor an der VR-Brille befestigt, könnte man sich schneller und unabhängiger in der virtuellen Realität bewegen. «Die Facebook-Tochter hat schon versucht meine Doktoranden abzuwerben», sagt der Scaramuzza und lacht. Das hat bei Henri aber nicht geklappt. Er wird weiter an autonom fliegenden Drohnen forschen.

Vermeintlich Diabetikerin - Wegen eines einzigen Messwerts

Diabetest-Screening von Schwangeren löst auch Fehlalarm aus. Bild: http://www.Pexels.com, CC0, via Wikimedia Commons.

Diabetest-Screening von Schwangeren löst auch Fehlalarm aus. Bild: http://www.Pexels.com, CC0, via Wikimedia Commons.

Die häufigste Komplikation bei werdenden Müttern ist Schwangerschaftsdiabetes. Ein Test soll die Krankheit rechtzeitig erkennen, doch dieser ist umstritten.

Verena Schmid (Name von der Redaktion geändert) hatte eine sorglose Schwangerschaft – bis sie im sechsten Monat zur Vorsorgeuntersuchung ging, um einen Blutzuckertest zu machen. Das Resultat des Tests überraschte sie: Schwangerschaftsdiabetes. Einer ihrer Blutzuckerwerte war leicht erhöht gewesen. Dieser Messwert sollte fortan die Schwangerschaft der Zürcherin bestimmen.

Noch vor einigen Jahren hätte Verenas Wert von 5,1 Millimol pro Liter als normal gegolten. Doch seit 2011 sind die Grenzwerte für die Diagnose der Zuckerkrankheit in der Schweiz niedriger, und schwangere Frauen werden einem Screening unterzogen. Dadurch trifft die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes jede zehnte werdende Mutter – drei- bis viermal mehr als noch vor 2011.

Hinter den strengen Grenzwerten steckt eine gute Absicht. Denn bleibt Schwangerschaftsdiabetes unbehandelt, sind schlimme Folgen für Mutter und Kind möglich. Wegen des hohen Blutzuckers der Mutter wachsen die Ungeborenen zu stark, meist wiegen sie am Geburtstag mehr als vier Kilogramm. Das verzögert die Geburt, deshalb kommen die meisten dieser Babys per Kaiserschnitt zur Welt. In seltenen Fällen werden die Ungeborenen schon vor der Geburt nicht mehr ausreichend versorgt und sterben im Mutterleib.

Weil einige dieser Komplikationen mit einem nur leicht erhöhten mütterlichen Blutzuckerwert zusammenhängen, wurde das Screening in der Schweiz eingeführt. Behandelt man die so erfassten Mütter, bringen die Neugeborenen weniger Gewicht auf die Waage und es kommt unter anderem zu weniger Geburtsverzögerung.

Umstrittener Grenzwert

Doch: Um die Diagnose zu stellen, reicht ein einziger erhöhter Wert. Das führt zu Überdiagnosen. Das heisst, dass eigentlich gesunde Schwangere als zuckerkrank erklärt werden. Nach Einschätzung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist dies bei jeder zwanzigsten Diagnose der Fall. Noch höher schätzt Evelyn Huhn, Gynäkologin am Universitätsspital Basel, die Überdiagnosen. In ihrer Praxis betreffe es fast jede zehnte diagnostizierte Frau. Doch: «Diese Überdiagnosen nehmen wir in Kauf, weil man sie im späteren Verlauf der Schwangerschaft erkennen kann», sagt Huhn. So könnten Ärzte bereits begonnene und unnötige Behandlungen wieder einstellen.

Täglich Blutzucker messen

Das geschieht jedoch nicht immer, wie Verena Schmid erleben sollte. Wie alle Frauen mit der Diagnose bekam sie ein Blutzuckermessgerät. «Viermal täglich musste ich mich in den Finger stechen, um meine Blutzuckerwerte zu messen», erzählt die 32-Jährige. Sind die Werte zu hoch, müssen die Schwangeren Diät halten und sich mehr bewegen. In 80 Prozent der Fälle reicht das, um den Blutzucker im grünen Bereich zu halten. Schaffen sie das nicht, müssen Betroffene Insulin spritzen. Verenas Zuckerwerte waren bei allen ihren Messungen normal – auch ohne Diät.

Zusätzlich zur Kontrolle des Blutzuckers leiten Ärzte die Geburt sehr oft am Stichtag hormonell ein. «Eingeleitete Geburten sind aber oft langwierig», sagt Andrea Weber, Geschäftsführerin des Schweizer Hebammenverbandes. «Sie enden nicht selten mit einem Kaiserschnitt».

Eine natürliche Geburt war Verena aber sehr wichtig. «Es hat mich unheimlich geärgert, als meine Frauenärztin mir sagte, bei mir würde die Geburt eingeleitet», erinnert sich Verena. «Denn meine Blutzuckerwerte waren nach dem ersten Mal nie mehr zu hoch und mein Baby war nicht zu gross». Barbara Felix, Endokrinologin am Kantonsspital Baselland, behandelt viele Schwangerschaftsdiabetikerinnen und kann Verenas Frust nachvollziehen: «Es stimmt, dass Frauen mit der Diagnose in ein Krankheitsraster fallen, aus dem sie nur sehr schwer wieder herauskommen.»

Problematische Sichtweise

Zudem findet Felix die Fokussierung auf Blutzuckerwerte problematisch. Denn ein erhöhter Wert könne eine zugrundeliegende Störung anzeigen, und diese lasse sich allein durch das Niedrighalten des Wertes nicht beheben. Viel wichtiger sei es, dass Frauen schon vor der Schwangerschaft ein gesundes Körpergewicht erreichten. Denn Übergewicht und zu starke Gewichtszunahme in der Schwangerschaft sind ebenfalls für zu grosse Babys verantwortlich.

Dies sagt auch die Basler Gynäkologin Evelyn Huhn. Dennoch hält sie das Screening für sinnvoll und wichtig. Die Krankheit müsse man erkennen und behandeln. «Die Schwangerschaft ist oft ein Spiegel des Alters», sagt sie. Wer hier schon Probleme mit dem Blutzucker habe, könne im Alter richtig zuckerkrank werden. Deswegen sei es auch notwendig, die Blutzuckerwerte nach der Schwangerschaft im Auge zu behalten.

Ärztin gewechselt

Verena Schmid hat ihre Blutzuckerwerte nach der Schwangerschaft nicht mehr kontrolliert, denn sie ist überzeugt, die Krankheit niemals gehabt zu haben. Darum hat sie noch während der Schwangerschaft die Ärztin gewechselt. Dass nicht alle Gynäkologen Augenmass nach einer Diagnose von Schwangerschaftsdiabetes einsetzen, weiss auch Hebamme Andrea Weber. Sie kennt etliche Fälle wie den von Verena. Häufig würden dann die Frauen die Verantwortung selbst in die Hand nehmen. «Es war für mich sehr schwierig, ein Spital zu finden, wo ich nicht als Schwangerschaftsdiabetikerin behandelt wurde», erzählt Verena. Letztendlich fand sie in Richterswil eine Klinik, wo man auf die Einleitung der Geburt verzichtete. Hier brachte Sie zwei Tage nach dem Termin ein gesundes Mädchen zur Welt – auf natürlichem Weg.

Genom-Editierung - Revolution in der Pflanzenzüchtung

Eine natürliche, spontane Mutation machte Rapsöl für den Menschen verträglich. Bild von  0x010C (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Eine natürliche, spontane Mutation machte Rapsöl für den Menschen verträglich. Bild von  0x010C (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Genom-Editierung durch Crispr/Cas ist ein Verfahren zur Erbgutveränderung. In der Schweiz könnte es künftig helfen, Apfelbäume vor Krankheiten zu schützen. Im Gegensatz zu konventionellen genetisch veränderten Pflanzen enthalten neue, genomeditierte Pflanzen keine artfremde DNS. Fallen sie dennoch unter das Gentechnikgesetz? Definitiv nicht, meinen viele Wissenschaftler, denn die Erbgutveränderungen könnten auch durch normale Züchtung entstehen. Auf jeden Fall, meinen Kritiker, die vor allem die Wahlfreiheit der Konsumenten und ethische Aspekte im Blick haben.

Täglich zwei bis drei Esslöffel Pflanzenöl, davon mindestens die Hälfte in Form von Rapsöl, empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE. Rapsöl enthält die wertvolle Omega-3 Fettsäure, die für unsere Gesundheit wichtig ist. Doch noch vor wenigen Jahrzehnten war Rapsöl ein reines Industrieöl. Es enthielt Erucasäure, die für den Menschen unverdaulich ist. Erst eine natürliche Mutation, also eine spontane Veränderung der Erbsubstanz der Rapspflanze, machte deren Öl für uns Menschen verträglich. Eine zweite Mutation machte die Überreste der Ölproduktion für die Tierfütterung nutzbar. In Europa wird heutzutage fast ausschliesslich dieser mutierte Doppelnull-Raps als Winterraps angebaut.

Mithilfe der Genom-Editierung durch die Technik namens Crispr/Cas können die Erbgutveränderungen wie beim Raps gezielt, effizient und kostengünstig ausgelöst werden. Diese Technologie taucht in letzter Zeit immer häufiger in den Medien auf, denn es steht die Frage im Raum: Sind genom-editierte Pflanzen gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) oder nicht? Schon seit Jahrzehnten setzt die moderne Nutzpflanzenzüchtung auf Möglichkeiten, Veränderungen und Umordnung des Erbgutes bewusst auszulösen, anstatt ausschliesslich auf spontane, natürliche Mutationen zu hoffen. Dies geschieht durch Chemikalien oder radioaktive Bestrahlung. Heutzutage gehen zum Beispiel Tausende Sorten auf Züchtung mit Radioaktivität zurück. Solche Pflanzen unterliegen keiner gesonderten Kennzeichnungspflicht. Viele Wissenschaftler sagen deshalb: Es macht keinen Unterschied, ob eine Erbgutveränderung natürlich, durch Radioaktivität oder durch Crispr/Cas zustande kommt. Deswegen seien genom-editierte Pflanzen mit solchen Veränderungen nicht wie GVOs zu behandeln. Für viele ökologisch arbeitende Landwirte macht es aber schon einen Unterschied wie eine Erbgutveränderung zustande kommt. Von einem ethischen Standpunkt aus gesehen gilt es, die Integrität der Zelle zu schützen und nicht technisch in sie einzugreifen. Deswegen lehnt der Biosektor nicht nur Genom-Editierung ab, sondern auch die Mutationszüchtungen durch Strahlen oder Chemie.

Zielgerichtete Mutationen

Die Erbsubstanz besteht aus Molekülen der Desoxyribonukleinsäure (DNS), die eine bestimmte Anordnung von vier verschiedenen Basenpaaren aufweisen. Die genaue Abfolge dieser Paare bestimmt die Funktion von Genen. Werden diese vertauscht, gelöscht oder eingeschoben, spricht man von einer Mutation. «Durch Genom-Editierung können gewünschte Mutationen im Erbgut viel präziser und zielgerichteter als mit herkömmlichen Methoden vorgenommen werden», erklärt Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Im Crispr/ Cas-Verfahren werden zwei Moleküle in die Pflanzenzelle eingeschleust: das Cas9-Enzym, welches wie eine Schere arbeitet und ein gewünschtes Gen zerschneidet, und ein Sequenz-Molekül (Guide RNA), welches Cas9 hilft, das richtige Gen zu finden (siehe Eintrag: Kriegen Bakterien auch Schnupfen?). Bei der zelleigenen Reparatur der Schnittstelle kommen Mutationen zustande, oder ein neues Gen kann in die Schnittstelle eingefügt werden. Im zweiten Fall muss zusätzlich eine Vorlage für das neue Gen in die Zelle eingeführt werden. Obwohl Crispr/Cas sehr genau arbeitet, kann es vorkommen, dass auch in falschen Genen geschnitten wird. «Solche unerwünschten Effekte hängen vom Zielgen ab, doch bei den neuesten Anwendungen der Genom-Editierung tendiert die Häufigkeit von unerwünschten Effekten gegen null», sagt Studer. «Bei Chemikalien, Strahlen oder anderen gängigen Techniken in der Züchtung ist die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Effekte bedeutend höher.» Studer mahnt, die Diskussion um moderne Pflanzenzüchtung nicht auf Crispr/Cas zu reduzieren: «Pflanzenzüchtung hat den Zweck, das Genom von Nutzpflanzen zu verbessern. Und unter diesem Dach der genetischen Verbesserungen befinden sich alle Techniken, die wir in den zehntausend Jahren seit dem Sesshaftwerden der Menschheit jemals angewendet haben. Crispr/Cas ist nur eine davon.»

Sein oder nicht sein

Da Mutationen oder der Einbau arteigener Gene auch durch herkömmliche Züchtung erreicht werden können, so argumentieren viele Wissenschaftler, seien die neuen genom-editierten Pflanzen keine GVOs. Sie sollten deshalb nicht den strengen Regeln des Gentechnikgesetzes unterliegen. Konventionelle GVOs werden seit 1996 kommerziell angebaut – hauptsächlich GV-Soja und GV-Mais. Diese enthalten artfremde Erbsubstanz. Bt-Mais enthält beispielsweise das Bt-Toxin-Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis. Dieses ist für den Maiswurzelbohrer giftig, wodurch Bt-Mais vor diesem Schädling geschützt ist. Ausserdem wird eine Genfähre als Transportvehikel benötigt, welche die Erbsubstanz in das Pflanzengenom einschleust. Sie besteht ebenfalls aus artfremden Sequenzen. Teile davon bleiben in der Pflanze zurück und können auch nicht ausgekreuzt werden, wodurch der Eingriff nachweisbar bleibt. Bei der Genom-Editierung werden die beiden nötigen Elemente – das Cas9-Enzym und die Leit-Sequenz – auf einer Genfähre kodiert. Diese wird, wie bei der konventionellen Gentechnik, in das Pflanzengenom eingeschleust. Nachdem das Crispr/Cas-System dort das Erbgut verändert hat, werden seine Elemente und die Genfähre nicht mehr benötigt und entfernt. In den Nachkommen findet sich also keine fremde DNS mehr. Künftige Verfahren werden gar so weit reichen, dass Pflanzen, die aus einer genom-editierten Gewebekultur hervorgehen, nie fremde DNS im Genom integriert hatten und trotzdem die gewünschte Erbgutveränderung aufweisen.

Kritiker fordern Kennzeichnungspflicht

Viele Interessenverbände fordern aber genom-editierte Pflanzen generell als GVOs zu bezeichnen. So auch der Biosektor. Ein wichtiges Prinzip des ökologischen Landbaus ist die Integrität der Pflanzenzelle. «Die Zelle ist die kleinste Einheit, aus der sich eine Pflanze fortpflanzen kann», sagt Monika Messmer, Wissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL). Die Würde der Kreatur ist in der Schweizer Bundesverfassung verankert, und aus dieser leitet sich für den Biosektor der Selbstwert der Pflanzen ab. «Zu diesem Selbstwert gehört, dass die Pflanze sich selber fortpflanzen und sie sich in ihrer Umgebung entwickeln kann. Aus diesen ethischen Gründen lehnen viele Bioverbände Eingriffe in die Zelle ab, wie sie bei der Genom-Editierung geschehen.» Doch es gehe um mehr als ethische Bedenken, sagt Messmer. Gerade im Biosektor fühle man sich dem Verbraucher verpflichtet. «Wenn genom-editierte Pflanzen vom Gentechnikgesetz ausgenommen werden, haben die Verbraucher keine Möglichkeit nachzuvollziehen, wie ihre Lebensmittel entstanden sind», meint Messmer.

Regulierung in der Sackgasse

Wie will die Schweiz künftig mit genom-editierten Pflanzen umgehen? «Im Moment arbeiten die verschiedenen Ämter an einer gemeinsamen Position. Wir sind dabei, eine Vernehmlassung mit den beteiligten Interessengruppen zu initiieren», sagt Sylvain Aubry, wissenschaftlicher Berater am Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). «Die Schweiz wird sich sehr stark daran orientieren, wie die Europäische Union sich entscheidet.» Denn die Regulierungen der EU und der Schweiz sind oftmals vernetzt, so werden zum Beispiel die in der EU zugelassenen Sorten auch in der Schweiz anerkannt und umgekehrt. Auch aus Sicht des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen könne die Schweiz diese Frage nicht im Alleingang klären, sondern müsse dies im Dialog mit internationalen Behörden, insbesondere der Europäischen Union tun. Jedoch, auf europäischer Ebene zierten sich Politiker und Behörden mit Stellungnahmen so lange, bis die Frage nun vor dem Europäischen Gerichtshof landete. Vor April 2018 ist mit einer Entscheidung nicht zu rechnen. Schon 2007 hatte die Europäische Kommission eine Expertengruppe beauftragt, sich mit sogenannten «Neuen Pflanzenzüchtungstechniken», unter anderem Genom-Editierung, zu beschäftigen. Der Abschlussbericht wurde nie offiziell veröffentlicht. Eine Interpretation der EU-Kommission, ob genom-editierte Pflanzen unter das europäische Gentechnikgesetz fallen oder nicht, war immer wieder verschoben worden. Im Oktober letzten Jahres bat Frankreich den Europäischen Gerichtshof um eine juristische Auslegung.

«Die EU-Definition für GVOs enthält eine Klausel, nach der Mutationszüchtungen explizit nicht als GVOs angesehen werden. Frankreich fragte das Gericht nun, ob diese Klausel auch auf die neuen Techniken zur Mutationszüchtung zutrifft», erklärt Timothy Sykes, Doktorand im Bereich Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Das bedeutet vermutlich auch, dass weder das EU-Parlament noch die Mitgliedsstaaten Entscheidungen zu den neuen Techniken fällen werden – eine unbefriedigende Situation für alle Beteiligten. «Eigentlich bräuchte man ein neues Gentechnikgesetz, denn es ist in einer Zeit entstanden, da gab es die neuen Züchtungstechniken noch nicht. Folglich ist es juristische Spitzfindigkeit, das bestehende Gesetz auszulegen», kritisiert Monika Messmer vom FiBL. Die Gesellschaft verpasse die Chance, die Nutzen und Risiken öffentlich zu diskutieren. Doch durch die Verzögerungen bleibt den Europäern vielleicht nur noch übrig, zu reagieren, statt zu agieren. Denn in den USA und Kanada sind einige Produkte schon von der Regulierung ausgenommen. So erlaubten US-Behörden im letzten Jahr den Anbau und die kommerzielle Nutzung eines genom-editierten Champignons, der durch Crispr/Cas länger haltbar gemacht wurde, sowie einer genom-editierten Maissorte der Firma Du Pont Pioneer. Die US-Firma Cibus ist schon weiter. Sie nutzte ein älteres Genom-Editierungsverfahren, um herbizidtoleranten Raps herzustellen. 2016 wurde dieser erstmals in kleinen Mengen in den USA angebaut. Er ist auch in Kanada zugelassen, wird dort aber noch nicht angebaut. Schweizer Konsumenten brauchen jedoch nicht damit zu rechnen, dass solche Rapsprodukte in naher Zukunft in ihren Lebensmittelregalen landen, heisst es von Seiten des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. Denn Raps für den menschlichen Konsum werde weder aus den USA noch aus Kanada in die Schweiz importiert, sondern vorwiegend aus Frankreich.

Risiken und Nutzen

Viele Wissenschaftler kommen zu der Einschätzung, dass genom-editierte Agrarpflanzen von Fall zu Fall bewertet und zugelassen werden sollten. «Es macht keinen Sinn, eine Technik zu regulieren», meint Bruno Studer. «Denn Crispr/Cas kann sowohl genutzt werden, um nur einzelne Basenpaare im Erbgut einer Pflanze zu ändern oder um ganze Gene einer anderen Art einzuschleusen. Was zählt, ist das Produkt. Von der Technik an sich geht kein Risiko aus, sondern höchstens von den neuen Eigenschaften, die eine neue Sorte im Feld aufweist.» Dass auch konventionell gezüchtete Pflanzen Risiken für die Umwelt darstellen können, zeige das Beispiel des Doppelnull Rapses, erzählt Monika Messmer. Er schmeckte auch Hasen und Rehen, die sich daran überfrassen und starben. «Daran sieht man, dass nur aufgrund veränderter Inhaltsstoffe Dinge passieren können, die man nicht vorhersehen kann», führt die Forscherin aus. In der Tat sei es wichtig zu bewerten, wie eine neue Eigenschaft einer Pflanze die Landwirtschaft eines Landes beeinflusst, sagt Sylvain Aubry vom BLW. «Führt eine neue Pflanze dazu, dass vermehrt Monokulturen angebaut werden? Dass bestimmte Herbizide eingesetzt würden? Oder dass Landwirte von industriellen Partnern abhängig würden? All diese Aspekte hängen nicht nur davon ab, wie eine Pflanze hergestellt wird, sondern auch davon, was man damit tut», sagt Aubry.

Schweizer Apfelzucht könnte profitieren

Trotz der offenen Fragen sehen Forscher und Züchter Potentiale der Genom-Editierung für die Schweizer Landwirtschaft, besonders in der Apfelproduktion. «Der ökologische Fussabdruck der Apfelproduktion ist riesig», sagt Bruno Studer. «Der Apfel, den man im Supermarkt kauft, wurde vielleicht 15- bis 20-mal gespritzt.» Sehr viele Apfelsorten sind anfällig für Krankheiten wie Feuerbrand und Schorf, weswegen sie mit Pestiziden und Antibiotika behandelt werden. Konventionelle Behandlung hatte zur Folge, dass sich im Jahr 2011 Antibiotika über dem Grenzwert in Honig anreicherten und 9400 kg Honig vernichtet werden mussten. In der Schweiz wurde im Jahr 2016 und 2017 die Behandlung von Feuerbrand mit Antibiotika nicht mehr bewilligt. Im ökologischen Landbau wird mit Schwefel oder Kupfer behandelt. Doch das Schwermetall Kupfer reichert sich im Boden an und ist giftig für dort lebende Organismen. Um die Obstbaumspritzung zu verringern, könnte man Krankheitsresistenzen wilder Apfelsorten durch Kreuzungen in Kultursorten einbringen, erklärt Andrea Patocchi, Wissenschaftler bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. «Jedes Mal, wenn wir zwei Apfelsorten miteinander kreuzen, werden die Eigenschaften der Eltern komplett durchmischt. Es entstehen Nachkommen, die sich meist sehr von der ursprünglichen Sorte unterscheiden.» Durch Kreuzungen mit Wildpflanzen würden sich auch Merkmale wie Geschmack, Festigkeit und Säure ändern. «Züchter rechnen, dass sich unter den 30 000 bis 40000 Nachkommen einer Kreuzung nur eine Pflanze befände, welche die gewünschten Sorteneigenschaften und zusätzlich die Krankheitsresistenz des Wildapfels aufweisen», sagt Patocchi. Hier könnten neue Züchtungstechniken wie Genom-Editierung helfen, um Resistenz-Gene ohne aufwendige Kreuzung in Kultursorten einzubringen. «Wir sind noch ziemlich weit davon entfernt, einen Apfelbaum zu editieren», so der Wissenschaftler. «Zwar kann man einzelne Zellen einer Gewebekultur durch Genom-Editierung modifizieren, jedoch ist es sehr schwer, aus einzelnen Zellen eine Pflanze zu ziehen. Hier ist noch sehr viel Forschung nötig.» Dennoch sehen einige, dass die neuen Verfahren zur Genom-Editierung durchaus auch im Biolandbau Anwendung finden könnten, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren oder auch den Marktanteil ökologischer Landwirtschaft zu erhöhen. Denn Werkzeuge wie Crispr/Cas sind einfach zu handhaben und kostengünstig. Sie könnten daher auch von kleinen Unternehmen genutzt werden und nicht nur von global operierenden Saatgutkonzernen und Patenteigentümern.

Kriegen Bakterien auch Schnupfen?

Auch Bakterien können sich gegen Viren wehren. Ihr Immunsystem  heisst Crispr. Bild: http://www.lbl.gov/Publications/Currents/Archive/Apr-30-2004.html, public domain

Auch Bakterien können sich gegen Viren wehren. Ihr Immunsystem  heisst Crispr. Bild: http://www.lbl.gov/Publications/Currents/Archive/Apr-30-2004.html, public domain

Sicherlich nicht, aber Bakterien werden ebenso von Viren befallen wie Pflanzen, Tiere und Menschen. Zwar läuft ihnen nicht die Nase, aber sie können sich durchaus gegen die Invasoren wehren. Denn auch Bakterien haben ein Immunsystem. Das war eine der grössten biologischen Entdeckungen der letzten 15 Jahre. Ihr Immunsystem heisst Crispr. Hinter diesem Zungenbrecher von einem Akronym steht: Clustered regularly interspaced short palindromic repeats. Das bedeutet, dass im Erbgut von Bakterien bestimmte Sequenzen in bestimmten Abständen immer wieder vorkommen. Man kann sich dies folgendermassen vorstellen: Ein Kind steht an einer Bahnschranke und zählt die vorbeifahrenden Waggons eines Güterzugs. Waggon, Lücke, Waggon, Lücke, Waggon, Lücke usw. Dabei fällt auf, dass die Waggons des Güterzugs nicht so aussehen wie die vielen Personenzüge, die sonst auf der Strecke verkehren. Die Waggons gehören nicht immer zum Erbgut des Bakteriums. Sie stammen ursprünglich von Viren. Je mehr unterschiedliche Viren ein Bakterium befallen, desto mehr unterschiedliche Güterzugwaggons trägt es. Wenn Viren Bakterien befallen, schleusen sie ihre virale Erbsubstanz – die Güterwaggons – in die Bakterienzelle ein. Bakterien stellen Kopien dieser Waggons her, integrieren sie in ihr Erbgut und tragen somit immer eine Art Fahndungsfoto der viralen DNS mit sich herum. Werden sie ein nächstes Mal von dem Virus befallen, gleichen sie ihre Waggons mit denen des Virus ab und senden dann ein Enzym namens Cas9 zu den viralen Waggons. Cas9 steht für Crispr-associated 9 und wird oft als molekulare Schere bezeichnet. Das Enzym zerschneidet DNS-Moleküle, aber nur wenn es durch bestimmte Sequenzen (Guide RNA) sozusagen an die Hand genommen wird. Das übernehmen die bakteriellen Waggons, durch sie kann Cas9 zu den viralen DNS-Molekülen geleitet werden. Die molekulare Schere setzt an, zerstückelt die fremde DNS und hindert das Virus so daran, sich auszubreiten.

Eine Revolution in der Biotechnologie

Eine weitere wichtige Entdeckung der letzten Jahre war, dass man diesen Mechanismus kopieren kann, um auch in Tieren, Pilzen und Pflanzen DNS zu verändern. Die Realisierung dieser Anwendung im Jahr 2012 war so bahnbrechend, dass deren Entwicklerinnen, Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, schon als sichere zukünftige Nobelpreisträgerinnen gelten. Statt der viralen Sequenzen können jegliche Sequenzen anderer Organismen mithilfe des Cas9-Enzyms geschnitten werden. Dazu geht man vor wie ein Virus, welches seine viralen Güterwaggons in ein Bakterium einschleust. Nur schleust man statt viraler Gene, Kopien von pflanzlichen Genen als Leit-Sequenz in eine Pflanzenzelle. Mithilfe dieser Kopien findet das gleichzeitig eingeschleuste Cas9-Enzym die originale Sequenz im Pflanzengenom und zerstört sie. Wenn in der pflanzlichen Zelle ein DNS-Molekül durchtrennt wird, so wird es durch den zelleigenen Reparaturmechanismus wieder repariert. Dabei kann es zu Fehlern kommen, und diese führen dann zu einer Mutation des Gens. So kann ein Gen ausgeschaltet werden. Im gen-editierten Champignon wurde beispielsweise mittels Crispr/ Cas ein Gen ausgeschaltet, welches für die Braunfärbung bei Lagerung verantwortlich ist. Man kann mithilfe der Crispr/ Cas-Methode aber auch ganz neue und auch artfremde Gene in ein Genom einschleusen. Dazu braucht es zusätzlich zu der Leit-Sequenz und dem Cas9-Enzym eine Vorlage für die einzuschleusende Sequenz. Diese Sequenz kann entweder ein arteigenes Resistenzgen gegen Krankheiten wie beim Apfel sein oder auch ein artfremdes Gen wie das bakterielle Toxin des Bt-Mais'. Wenn Cas9 dann die pflanzliche DNA schneidet, wird das neue Gen in die Schnittstelle eingefügt.