Klimawandel

Warme Winter, leere Netze

Berufsfischer am Zürichsee fangen weniger Fisch. Schuld ist der Klimawandel. Bild: Wikimedia commons/ Roland zh

Berufsfischer am Zürichsee fangen weniger Fisch. Schuld ist der Klimawandel. Bild: Wikimedia commons/ Roland zh

Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich auch im Zürichsee: Die Fischbestände schwinden und ein giftiges Bakterium breitet sich immer mehr aus.

Adrian Gerny ist Berufsfischer aus Leidenschaft. Sechsmal pro Woche legt er seine Netze im Zürichsee aus, seine Arbeitstage sind lang: fangen, filetieren, verpacken, ausliefern. Alles macht er selbst. Und doch kämpft er ums Überleben. Seit zwei Jahren gehen den Fischern am Zürichsee immer weniger Fische ins Netz, besonders weniger Felchen, die sogenannten Brotfische der Fischer. «Ich mache ungefähr zwei Drittel meines Umsatzes mit diesen Fischen», sagt Gerny, Präsident der Berufsfischer am Zürichsee. Sein Ertrag an Felchen schrumpfte 2017 über die Hälfte im Vergleich zu 2015. «Ich habe schon Mitarbeiter entlassen müssen», erzählt er. «Ohne Zukäufe von Kollegen müsste ich zumachen.» Was ist los mit den Felchen im Zürichsee? LimnologInnen der Universität Zürich haben kürzlich eine Langzeitstudie veröffentlicht, die verschiedenste Umweltparameter und Organismen im See über dreissig Jahre hinweg beobachtet hat. Die Resultate der ForscherInnen, die sich mit Binnerngewässern beschäftigen, legen den Schluss nahe, dass die Fische zu wenig zu Fressen haben. Seit 2013 fehlt dem Zürichsee eine wichtige Quelle im Nahrungskreislauf: Kieselalgen und sogenannte Cryptomonaden. Diese Organismen wachsen normalerweise im Frühling in Massen. Man spricht von einer Algenblüte. Doch diese ist seit nunmehr fünf Jahren verschwunden. Algen sind sozusagen der Aperitif im grossen Fressen-und-Gefressen-Werden des Sees. Ohne sie gibt es weniger tierische Einzeller und Kleinkrebse. Von diesen aber ernähren sich Fischlarven. Haben diese nichts mehr zu fressen, macht sich das drei bis vier Jahre später, wenn die Tiere herangewachsen sind, im Netz des Fischers bemerkbar.

Das Problem mit dem Phosphor

Die eigentliche Frage lautet also: Weshalb sind die Algen aus dem Zürichsee verschwunden? Zum Wachsen brauchen sie gelösten Phosphor, und davon hat es normalerweise zehn bis zwölf Mikrogramm pro Liter im Oberflächenwasser. Doch dort ist der Nährstoff seit fünf Jahren kaum mehr nachzuweisen. Dass dem Zürichsee Nährstoffe fehlen mag überraschen, denn lange Zeit war das Gewässer überdüngt. In den Siebziger Jahren trugen Abwässer zu viele Nährstoffe in den See, vor allem Phosphate aus Waschmitteln. Die Algenblüte die heute fehlt, war damals ein Zeichen der Überdüngung. Der Fischfang boomte. Dann ergriff der Bund Massnahmen zum Gewässerschutz. Die Berufsfischer am Zürichsee behaupten seit dem Einbruch ihrer Fangquoten immer wieder, dass zu viel Phosphor aus dem Abwasser gefiltert würde. Gemäss Gesetz müssen Kläranlagen mindestens 80 Prozent des Phosphors aus dem Abwasser filtern. Faktisch würden aber 95 bis 97 Prozent entfernt, so Gerny. Das sei einer von mehreren Gründen für die schwindenden Fischerträge. Thomas Posch, der die Langzeitstudie in Zürich leitete, widerspricht: «Im See gibt es genug Phosphor. Das Problem ist nur: Er sitzt am Seegrund fest.» Normalerweise kommt der Nährstoff vom Grund an die Oberfläche, wenn sich der See im Frühling durchmischt. Bis an die tiefste Stelle, 136 Meter unter dem Wasserspiegel, dringt dann das Oberflächenwasser. Doch seit 2013 hat der See aufgehört, sich vollständig zu durchmischen, wie die Zürcher Limnologen herausgefunden haben. Im Jahr 2016 mischten sich nur noch die oberen 60 bis 70 Meter. Grund dafür ist die Klimaerwärmung. Die Temperatur am Zürichsee hat sich seit den Siebziger Jahren um zweieinhalb Grad Celsius erhöht. In den Frühlingsmonaten lag sie in den vergangenen Jahren sogar bis zu sechs Grad über dem Langzeitmittel. Als Folge davon bleibt die obere Wasserschicht des Sees im Winter zu warm und kann sich deshalb im Frühling nicht mit dem kalten, schweren Tiefenwasser mischen. Wie ein Ölschicht sitzt das Oberflächenwasser dann auf dem See.

Böse Burgunderblutalge

«Der Zürichsee ist ein schönes Beispiel dafür, wie der Klimawandel einen See über einen kritischen Punkt hinaus verändert», sagt die Geologin Catherine O’Reilly von der Illinois State University. «Und zwar so, dass das Fehlen der kompletten Durchmischung die neue Normalität ist.» So ist es schon dem Lago Maggiore und dem Gardasee ergangen. Sie mischen sich nur alle paar Jahre. Auch weltweit erwärmen sich Seen jedes Jahrzehnt um 0.34 Grad, stellten O’Reilly und ihre KollegInnen in einer Studie aus dem Jahr 2015 fest. Dass die Erwärmung des Zürichsees dazu führt, dass er sich nicht mehr komplett durchmischt, sei an sich nicht überraschend, findet Dietmar Straile von der Universität Konstanz. «Aber dass der Oberflächenphosphor ganz weg ist und die Algenblüte so ganz und gar ausbleibt, das hat mich doch sehr überrascht.» Der Limnologe weist auf ein weiteres Problem hin: Wegen der fehlenden Umwälzung kommen nicht nur weniger Nährstoffe nach oben, sondern es gelangt auch weniger Sauerstoff in die Tiefe. Unter dem Sauerstoffmangel dort leiden aber Bodenlebewesen und mancher Fischlaich. Bedroht ist also auch die Artenvielfalt im See. Und damit noch nicht genug: Seit 2012 macht sich eine giftige Bakterienart, die sich in nährstoffarmem, warmem Wasser wohl fühlt, im Zürichsee breit. Die Bakterienart heisst Planktothrix rubescens, auch Burgunderblutalge genannt, obwohl sie keine Alge ist. Weil der See sich nicht mischt, stirbt Planktothrix nicht mehr ab. Im Frühling haben diese Bakterien so einen Startvorteil gegenüber Algen und fressen ihnen den Phosphor weg. Ganze 80 Prozent des ohnehin schon knappen Nährstoffs stecken in den Mikroben. Das ist ein Problem, denn Planktothrix produziert ein Gift, das so toxisch ist wie das Gift der Kobra. Darum haben die Bakterien kaum Frassfeinde. Für den Nahrungskreislauf im See bedeutet das: Sackgasse.

Mehr Aufwand für Trinkwasserqualität

Das ist nicht nur schlecht für Fische. Auch die Trinkwasserversorgung ist darauf angewiesen, dass das Nahrungsnetz im See funktioniert. Denn das ist wichtig für die Selbstreinigungskraft des Gewässers. «Je besser der See eingetragene Stoffe selber abbaut, desto weniger müssen wir nachbessern», sagt Oliver Köster von der Zürcher Trinkwasserversorgung. Immerhin besteht das Zürcher Hahnenwasser zu 75 Prozent aus Seewasser und versorgt 1.5 Millionen Menschen. Als Gefahr für die Trinkwasserqualität erachtet Köster Planktothrix nicht: «Das Gift können wir durch Ozonbehandlung vollständig aus dem Trinkwasser entfernen.» Bis jetzt hätten die Veränderungen im See keine Auswirkungen auf das Trinkwasser gehabt, sagt er, aber man beobachte die Situation sehr genau, um rechtzeitig reagieren zu können. Auch wer beim Baden im Sommer versehentlich etwas Zürichseewasser schluckt, braucht sich keine Sorgen zu machen. Denn dann lebt das giftige Bakterium in 10 bis 12 Metern Tiefe. Aber im Herbst steigen die Bakterien an die Oberfläche und werden als rote Schlieren im Uferbereich sichtbar. «Direkt konsumieren sollte man dieses Wasser dann nicht mehr», sagt Thomas Posch. Tun kann man gegen das Werk des Klimawandels am Zürichsee herzlich wenig. Technische Lösungen wie die künstliche Umwälzung des Sees finden weder beim Bundesamt für Umwelt noch bei ForscherInnen Anklang. Denn der Aufwand ist gross und ob es wirklich klappt, ist ungewiss. «Ich hoffe einfach», sagt Posch, «dass es mal wieder zu einem kalten Winter kommt und der See sich mischt.» Die sehr kalten und windigen Tage der letzten Wochen haben fast gereicht. Bis in 100 Meter Tiefe mischte der See bisher. Fischer Adrian Gerny und seine Kollegen hoffen, dass sich der See in den kommenden Wochen tatsächlich umwälzt. Denn momentan können sie kaum noch von ihren Fangerträgen leben. «Einige meiner Kollegen halten sich mit Nebenjobs über Wasser», sagt Gerny. «Ohne die müssten sie die Fischerei aufgeben.»