Heute ist Crispr/Cas in aller Munde, doch jahrzehntelang war es nur wenigen Forschenden bekannt. Wie aus mikrobiologischer Grundlagenforschung das Werkzeug wurde, das dereinst Erbkrankheiten heilen könnte.
Genom-Editierung - Revolution in der Pflanzenzüchtung
Genom-Editierung durch Crispr/Cas ist ein Verfahren zur Erbgutveränderung. In der Schweiz könnte es künftig helfen, Apfelbäume vor Krankheiten zu schützen. Im Gegensatz zu konventionellen genetisch veränderten Pflanzen enthalten neue, genomeditierte Pflanzen keine artfremde DNS. Fallen sie dennoch unter das Gentechnikgesetz? Definitiv nicht, meinen viele Wissenschaftler, denn die Erbgutveränderungen könnten auch durch normale Züchtung entstehen. Auf jeden Fall, meinen Kritiker, die vor allem die Wahlfreiheit der Konsumenten und ethische Aspekte im Blick haben.
Täglich zwei bis drei Esslöffel Pflanzenöl, davon mindestens die Hälfte in Form von Rapsöl, empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE. Rapsöl enthält die wertvolle Omega-3 Fettsäure, die für unsere Gesundheit wichtig ist. Doch noch vor wenigen Jahrzehnten war Rapsöl ein reines Industrieöl. Es enthielt Erucasäure, die für den Menschen unverdaulich ist. Erst eine natürliche Mutation, also eine spontane Veränderung der Erbsubstanz der Rapspflanze, machte deren Öl für uns Menschen verträglich. Eine zweite Mutation machte die Überreste der Ölproduktion für die Tierfütterung nutzbar. In Europa wird heutzutage fast ausschliesslich dieser mutierte Doppelnull-Raps als Winterraps angebaut.
Mithilfe der Genom-Editierung durch die Technik namens Crispr/Cas können die Erbgutveränderungen wie beim Raps gezielt, effizient und kostengünstig ausgelöst werden. Diese Technologie taucht in letzter Zeit immer häufiger in den Medien auf, denn es steht die Frage im Raum: Sind genom-editierte Pflanzen gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) oder nicht? Schon seit Jahrzehnten setzt die moderne Nutzpflanzenzüchtung auf Möglichkeiten, Veränderungen und Umordnung des Erbgutes bewusst auszulösen, anstatt ausschliesslich auf spontane, natürliche Mutationen zu hoffen. Dies geschieht durch Chemikalien oder radioaktive Bestrahlung. Heutzutage gehen zum Beispiel Tausende Sorten auf Züchtung mit Radioaktivität zurück. Solche Pflanzen unterliegen keiner gesonderten Kennzeichnungspflicht. Viele Wissenschaftler sagen deshalb: Es macht keinen Unterschied, ob eine Erbgutveränderung natürlich, durch Radioaktivität oder durch Crispr/Cas zustande kommt. Deswegen seien genom-editierte Pflanzen mit solchen Veränderungen nicht wie GVOs zu behandeln. Für viele ökologisch arbeitende Landwirte macht es aber schon einen Unterschied wie eine Erbgutveränderung zustande kommt. Von einem ethischen Standpunkt aus gesehen gilt es, die Integrität der Zelle zu schützen und nicht technisch in sie einzugreifen. Deswegen lehnt der Biosektor nicht nur Genom-Editierung ab, sondern auch die Mutationszüchtungen durch Strahlen oder Chemie.
Zielgerichtete Mutationen
Die Erbsubstanz besteht aus Molekülen der Desoxyribonukleinsäure (DNS), die eine bestimmte Anordnung von vier verschiedenen Basenpaaren aufweisen. Die genaue Abfolge dieser Paare bestimmt die Funktion von Genen. Werden diese vertauscht, gelöscht oder eingeschoben, spricht man von einer Mutation. «Durch Genom-Editierung können gewünschte Mutationen im Erbgut viel präziser und zielgerichteter als mit herkömmlichen Methoden vorgenommen werden», erklärt Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Im Crispr/ Cas-Verfahren werden zwei Moleküle in die Pflanzenzelle eingeschleust: das Cas9-Enzym, welches wie eine Schere arbeitet und ein gewünschtes Gen zerschneidet, und ein Sequenz-Molekül (Guide RNA), welches Cas9 hilft, das richtige Gen zu finden (siehe Eintrag: Kriegen Bakterien auch Schnupfen?). Bei der zelleigenen Reparatur der Schnittstelle kommen Mutationen zustande, oder ein neues Gen kann in die Schnittstelle eingefügt werden. Im zweiten Fall muss zusätzlich eine Vorlage für das neue Gen in die Zelle eingeführt werden. Obwohl Crispr/Cas sehr genau arbeitet, kann es vorkommen, dass auch in falschen Genen geschnitten wird. «Solche unerwünschten Effekte hängen vom Zielgen ab, doch bei den neuesten Anwendungen der Genom-Editierung tendiert die Häufigkeit von unerwünschten Effekten gegen null», sagt Studer. «Bei Chemikalien, Strahlen oder anderen gängigen Techniken in der Züchtung ist die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Effekte bedeutend höher.» Studer mahnt, die Diskussion um moderne Pflanzenzüchtung nicht auf Crispr/Cas zu reduzieren: «Pflanzenzüchtung hat den Zweck, das Genom von Nutzpflanzen zu verbessern. Und unter diesem Dach der genetischen Verbesserungen befinden sich alle Techniken, die wir in den zehntausend Jahren seit dem Sesshaftwerden der Menschheit jemals angewendet haben. Crispr/Cas ist nur eine davon.»
Sein oder nicht sein
Da Mutationen oder der Einbau arteigener Gene auch durch herkömmliche Züchtung erreicht werden können, so argumentieren viele Wissenschaftler, seien die neuen genom-editierten Pflanzen keine GVOs. Sie sollten deshalb nicht den strengen Regeln des Gentechnikgesetzes unterliegen. Konventionelle GVOs werden seit 1996 kommerziell angebaut – hauptsächlich GV-Soja und GV-Mais. Diese enthalten artfremde Erbsubstanz. Bt-Mais enthält beispielsweise das Bt-Toxin-Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis. Dieses ist für den Maiswurzelbohrer giftig, wodurch Bt-Mais vor diesem Schädling geschützt ist. Ausserdem wird eine Genfähre als Transportvehikel benötigt, welche die Erbsubstanz in das Pflanzengenom einschleust. Sie besteht ebenfalls aus artfremden Sequenzen. Teile davon bleiben in der Pflanze zurück und können auch nicht ausgekreuzt werden, wodurch der Eingriff nachweisbar bleibt. Bei der Genom-Editierung werden die beiden nötigen Elemente – das Cas9-Enzym und die Leit-Sequenz – auf einer Genfähre kodiert. Diese wird, wie bei der konventionellen Gentechnik, in das Pflanzengenom eingeschleust. Nachdem das Crispr/Cas-System dort das Erbgut verändert hat, werden seine Elemente und die Genfähre nicht mehr benötigt und entfernt. In den Nachkommen findet sich also keine fremde DNS mehr. Künftige Verfahren werden gar so weit reichen, dass Pflanzen, die aus einer genom-editierten Gewebekultur hervorgehen, nie fremde DNS im Genom integriert hatten und trotzdem die gewünschte Erbgutveränderung aufweisen.
Kritiker fordern Kennzeichnungspflicht
Viele Interessenverbände fordern aber genom-editierte Pflanzen generell als GVOs zu bezeichnen. So auch der Biosektor. Ein wichtiges Prinzip des ökologischen Landbaus ist die Integrität der Pflanzenzelle. «Die Zelle ist die kleinste Einheit, aus der sich eine Pflanze fortpflanzen kann», sagt Monika Messmer, Wissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL). Die Würde der Kreatur ist in der Schweizer Bundesverfassung verankert, und aus dieser leitet sich für den Biosektor der Selbstwert der Pflanzen ab. «Zu diesem Selbstwert gehört, dass die Pflanze sich selber fortpflanzen und sie sich in ihrer Umgebung entwickeln kann. Aus diesen ethischen Gründen lehnen viele Bioverbände Eingriffe in die Zelle ab, wie sie bei der Genom-Editierung geschehen.» Doch es gehe um mehr als ethische Bedenken, sagt Messmer. Gerade im Biosektor fühle man sich dem Verbraucher verpflichtet. «Wenn genom-editierte Pflanzen vom Gentechnikgesetz ausgenommen werden, haben die Verbraucher keine Möglichkeit nachzuvollziehen, wie ihre Lebensmittel entstanden sind», meint Messmer.
Regulierung in der Sackgasse
Wie will die Schweiz künftig mit genom-editierten Pflanzen umgehen? «Im Moment arbeiten die verschiedenen Ämter an einer gemeinsamen Position. Wir sind dabei, eine Vernehmlassung mit den beteiligten Interessengruppen zu initiieren», sagt Sylvain Aubry, wissenschaftlicher Berater am Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). «Die Schweiz wird sich sehr stark daran orientieren, wie die Europäische Union sich entscheidet.» Denn die Regulierungen der EU und der Schweiz sind oftmals vernetzt, so werden zum Beispiel die in der EU zugelassenen Sorten auch in der Schweiz anerkannt und umgekehrt. Auch aus Sicht des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen könne die Schweiz diese Frage nicht im Alleingang klären, sondern müsse dies im Dialog mit internationalen Behörden, insbesondere der Europäischen Union tun. Jedoch, auf europäischer Ebene zierten sich Politiker und Behörden mit Stellungnahmen so lange, bis die Frage nun vor dem Europäischen Gerichtshof landete. Vor April 2018 ist mit einer Entscheidung nicht zu rechnen. Schon 2007 hatte die Europäische Kommission eine Expertengruppe beauftragt, sich mit sogenannten «Neuen Pflanzenzüchtungstechniken», unter anderem Genom-Editierung, zu beschäftigen. Der Abschlussbericht wurde nie offiziell veröffentlicht. Eine Interpretation der EU-Kommission, ob genom-editierte Pflanzen unter das europäische Gentechnikgesetz fallen oder nicht, war immer wieder verschoben worden. Im Oktober letzten Jahres bat Frankreich den Europäischen Gerichtshof um eine juristische Auslegung.
«Die EU-Definition für GVOs enthält eine Klausel, nach der Mutationszüchtungen explizit nicht als GVOs angesehen werden. Frankreich fragte das Gericht nun, ob diese Klausel auch auf die neuen Techniken zur Mutationszüchtung zutrifft», erklärt Timothy Sykes, Doktorand im Bereich Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Das bedeutet vermutlich auch, dass weder das EU-Parlament noch die Mitgliedsstaaten Entscheidungen zu den neuen Techniken fällen werden – eine unbefriedigende Situation für alle Beteiligten. «Eigentlich bräuchte man ein neues Gentechnikgesetz, denn es ist in einer Zeit entstanden, da gab es die neuen Züchtungstechniken noch nicht. Folglich ist es juristische Spitzfindigkeit, das bestehende Gesetz auszulegen», kritisiert Monika Messmer vom FiBL. Die Gesellschaft verpasse die Chance, die Nutzen und Risiken öffentlich zu diskutieren. Doch durch die Verzögerungen bleibt den Europäern vielleicht nur noch übrig, zu reagieren, statt zu agieren. Denn in den USA und Kanada sind einige Produkte schon von der Regulierung ausgenommen. So erlaubten US-Behörden im letzten Jahr den Anbau und die kommerzielle Nutzung eines genom-editierten Champignons, der durch Crispr/Cas länger haltbar gemacht wurde, sowie einer genom-editierten Maissorte der Firma Du Pont Pioneer. Die US-Firma Cibus ist schon weiter. Sie nutzte ein älteres Genom-Editierungsverfahren, um herbizidtoleranten Raps herzustellen. 2016 wurde dieser erstmals in kleinen Mengen in den USA angebaut. Er ist auch in Kanada zugelassen, wird dort aber noch nicht angebaut. Schweizer Konsumenten brauchen jedoch nicht damit zu rechnen, dass solche Rapsprodukte in naher Zukunft in ihren Lebensmittelregalen landen, heisst es von Seiten des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. Denn Raps für den menschlichen Konsum werde weder aus den USA noch aus Kanada in die Schweiz importiert, sondern vorwiegend aus Frankreich.
Risiken und Nutzen
Viele Wissenschaftler kommen zu der Einschätzung, dass genom-editierte Agrarpflanzen von Fall zu Fall bewertet und zugelassen werden sollten. «Es macht keinen Sinn, eine Technik zu regulieren», meint Bruno Studer. «Denn Crispr/Cas kann sowohl genutzt werden, um nur einzelne Basenpaare im Erbgut einer Pflanze zu ändern oder um ganze Gene einer anderen Art einzuschleusen. Was zählt, ist das Produkt. Von der Technik an sich geht kein Risiko aus, sondern höchstens von den neuen Eigenschaften, die eine neue Sorte im Feld aufweist.» Dass auch konventionell gezüchtete Pflanzen Risiken für die Umwelt darstellen können, zeige das Beispiel des Doppelnull Rapses, erzählt Monika Messmer. Er schmeckte auch Hasen und Rehen, die sich daran überfrassen und starben. «Daran sieht man, dass nur aufgrund veränderter Inhaltsstoffe Dinge passieren können, die man nicht vorhersehen kann», führt die Forscherin aus. In der Tat sei es wichtig zu bewerten, wie eine neue Eigenschaft einer Pflanze die Landwirtschaft eines Landes beeinflusst, sagt Sylvain Aubry vom BLW. «Führt eine neue Pflanze dazu, dass vermehrt Monokulturen angebaut werden? Dass bestimmte Herbizide eingesetzt würden? Oder dass Landwirte von industriellen Partnern abhängig würden? All diese Aspekte hängen nicht nur davon ab, wie eine Pflanze hergestellt wird, sondern auch davon, was man damit tut», sagt Aubry.
Schweizer Apfelzucht könnte profitieren
Trotz der offenen Fragen sehen Forscher und Züchter Potentiale der Genom-Editierung für die Schweizer Landwirtschaft, besonders in der Apfelproduktion. «Der ökologische Fussabdruck der Apfelproduktion ist riesig», sagt Bruno Studer. «Der Apfel, den man im Supermarkt kauft, wurde vielleicht 15- bis 20-mal gespritzt.» Sehr viele Apfelsorten sind anfällig für Krankheiten wie Feuerbrand und Schorf, weswegen sie mit Pestiziden und Antibiotika behandelt werden. Konventionelle Behandlung hatte zur Folge, dass sich im Jahr 2011 Antibiotika über dem Grenzwert in Honig anreicherten und 9400 kg Honig vernichtet werden mussten. In der Schweiz wurde im Jahr 2016 und 2017 die Behandlung von Feuerbrand mit Antibiotika nicht mehr bewilligt. Im ökologischen Landbau wird mit Schwefel oder Kupfer behandelt. Doch das Schwermetall Kupfer reichert sich im Boden an und ist giftig für dort lebende Organismen. Um die Obstbaumspritzung zu verringern, könnte man Krankheitsresistenzen wilder Apfelsorten durch Kreuzungen in Kultursorten einbringen, erklärt Andrea Patocchi, Wissenschaftler bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. «Jedes Mal, wenn wir zwei Apfelsorten miteinander kreuzen, werden die Eigenschaften der Eltern komplett durchmischt. Es entstehen Nachkommen, die sich meist sehr von der ursprünglichen Sorte unterscheiden.» Durch Kreuzungen mit Wildpflanzen würden sich auch Merkmale wie Geschmack, Festigkeit und Säure ändern. «Züchter rechnen, dass sich unter den 30 000 bis 40000 Nachkommen einer Kreuzung nur eine Pflanze befände, welche die gewünschten Sorteneigenschaften und zusätzlich die Krankheitsresistenz des Wildapfels aufweisen», sagt Patocchi. Hier könnten neue Züchtungstechniken wie Genom-Editierung helfen, um Resistenz-Gene ohne aufwendige Kreuzung in Kultursorten einzubringen. «Wir sind noch ziemlich weit davon entfernt, einen Apfelbaum zu editieren», so der Wissenschaftler. «Zwar kann man einzelne Zellen einer Gewebekultur durch Genom-Editierung modifizieren, jedoch ist es sehr schwer, aus einzelnen Zellen eine Pflanze zu ziehen. Hier ist noch sehr viel Forschung nötig.» Dennoch sehen einige, dass die neuen Verfahren zur Genom-Editierung durchaus auch im Biolandbau Anwendung finden könnten, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren oder auch den Marktanteil ökologischer Landwirtschaft zu erhöhen. Denn Werkzeuge wie Crispr/Cas sind einfach zu handhaben und kostengünstig. Sie könnten daher auch von kleinen Unternehmen genutzt werden und nicht nur von global operierenden Saatgutkonzernen und Patenteigentümern.