Die Furcht der Biobauern vor der neuen Gentechnik

Rapspflanzen wurden mit neuen gentechnischen Methoden verändert. Diese Erbgutveränderungen kann man nicht von natürlichen unterscheiden. Bild: public domain.

Rapspflanzen wurden mit neuen gentechnischen Methoden verändert. Diese Erbgutveränderungen kann man nicht von natürlichen unterscheiden. Bild: public domain.

Die moderne Gentechnik ist in Lebensmitteln nicht mehr nachweisbar. Dass Forscher deshalb eine Lockerung der Deklarationspflicht fordern, beunruhigt Biolandwirte.

Wer beim Einkauf gern zum Biopoulet greift, erwartet vermutlich, dass das Huhn ein glückliches Leben hatte, aber auch, dass es kein gentechnisch verändertes Futter bekam. Das war bis anhin möglich, weil gentechnisch veränderte Organismen (GVO) der Kennzeichnungspflicht unterliegen und in Bioprodukten verboten sind. Doch was, wenn gentechnische Methoden zum Einsatz kommen, die nicht nachweisbar sind? Mit neuen Verfahren wie der Crispr-Cas9-Methode, die in den letzten Monaten viel zu reden gab, lässt sich das Erbgut von Pflanzen so editieren, dass diese sich nicht mehr von herkömmlichen Züchtungen unterscheiden. Wissenschafter plädieren bereits in einer Stellungnahme dafür, die sogenannten «Genom-editierten Nutzpflanzen» von der GVO-Kennzeichnungspflicht auszunehmen.

Mutationen durch Strahlung

Was viele Konsumenten vermutlich nicht wissen, ist, dass auch mit konventionellen Zuchtmethoden das Genom der Pflanzen künstlich verändert wird, zum Beispiel durch radioaktive Strahlung oder Chemikalien. Dabei entstehen Tausende Mutationen im gesamten Erbgut, wobei die unerwünschten durch aufwendige Kreuzungen der Pflanzen mit nicht behandelten Pflanzen wieder entfernt werden müssen. Schon in den 1960er Jahren wurden Kulturpflanzen durch Bestrahlung mutiert, und heute gehen über 1800 Sorten im Einsatz auf Mutationszüchtung zurück.

Mit Crispr-Cas9 können einzelne Basenpaare in der Erbsubstanz gezielt verändert oder gelöscht werden. Nachdem die Crispr-Cas9-Maschinerie ihre Aufgabe erfüllt hat, wird sie durch Auskreuzen wieder entfernt (siehe Grafik). Zurück bleibt eine Pflanze, die eine gewünschte Veränderung enthält und praktisch frei von fremden Genen ist. Da es nicht nachweisbar sei, ob Unterschiede im Genom durch natürliche Mutationen, durch herkömmliche Zuchtmethoden oder durch Genom-Editierung entstanden seien, solle man Genom-editierte Nutzpflanzen in Zukunft wie herkömmliche Züchtungen behandeln, schreiben die Forscher.

Anders verhält es sich bei den mit konventioneller Gentechnik hergestellten GVO. Sie unterscheiden sich deutlich von konventionellen Züchtungen. Erstens werden bei ihnen oft fremde Gene, etwa von Bakterien, eingeschleust, um eine gewünschte Eigenschaft zu erhalten, wie etwa eine höhere Resistenz gegen Pflanzenschädlinge. Zweites verbleibt dabei eine Art Fussabdruck im Genom, was bei Crispr-Cas9 nicht der Fall ist.

Eine Einschleusung artfremder Gene wäre zwar auch mit der Crispr-Cas9-Methode möglich. Diese Pflanzen wären wegen ihres artfremden Erbguts aber von herkömmlich gezüchteten Pflanzen zu unterscheiden und sollten auch als GVO behandelt und gekennzeichnet werden, sagt Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, einer der vier Autoren der Stellungnahme.

Unterschied nicht ersichtlich

Aus wissenschaftlicher Sicht sei es tatsächlich unerheblich, ob eine gewünschte Veränderung durch Crispr-Cas9 oder durch andere Verfahren der konventionellen Züchtung zustande komme, sagt der Entwicklungsgenetiker Ueli Grossniklaus von der Universität Zürich, der nicht an der Stellungnahme beteiligt war. Er sieht demnach keinen Grund, das Endprodukt als GVO zu klassifizieren, nur weil bei seiner Entstehung gentechnische Methoden zum Einsatz gekommen sind.

Obwohl Crispr-Cas9 eine der genauesten Editierungstechniken ist, gibt es sogenannte «off-target effects». Das sind unerwünschte Mutationen ausserhalb der Zielstelle. Nach Einschätzung beider Forscher ist die Gefahr unerwünschter Mutationen durch Crispr-Cas9 aber sehr viel geringer als bei der konventionellen Mutationszüchtung.

Monika Messmer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau stimmt mit dieser Einschätzung aus wissenschaftlicher Sicht prinzipiell überein. Wenn es nur um das Ausschalten von Genen gehe, sei die neue Technik sehr viel präziser. Dennoch ist sie besorgt. Aus Sicht des Biolandbaus wäre eine Ausnahme der Genom-editierten Pflanzen von der GVO-Kennzeichnungspflicht fatal. «Wenn es um Züchtungstechniken im Biolandbau geht, gibt es auch eine ethische Ebene der Diskussion. Technische Eingriffe in die Zelle, wie sie bei der Genom-Editierung geschehen, werden von vielen Bioverbänden abgelehnt», sagt sie. Dies gelte auch für die konventionelle Mutationszüchtung.

Aber schon jetzt haben es Biolandwirte schwer, herauszufinden, welche Züchtungsmethoden bei einem Saatgut zum Einsatz gekommen sind. Messmer wünscht sich daher eine besondere Registrierungspflicht für Genom-editierte Pflanzen, selbst wenn diese von der GVO-Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden sollten. Nur so erhielten Landwirte die Möglichkeit zu wählen, welche Züchtungsverfahren sie für ihr Saatgut möchten und welche nicht.

Die Zeit drängt

Noch ist die Entscheidung über die Kennzeichnungspflicht nicht gefallen. Doch die Zeit drängt, wie ein Beispiel aus dem letzten Jahr zeigt. Die amerikanische Firma Cibus wollte in Deutschland Raps anbauen, der mithilfe eines älteren Genom-Editierungs-Verfahrens hergestellt worden war. Das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit stellte damals fest , die Pflanze falle nicht unter das Gentechnikgesetz, und gab grünes Licht für Freilandversuche. Daraufhin bat die Europäische Kommission die Mitgliedsstaaten um Einhalt. Seither wartet man auch in der Schweiz auf eine juristische Interpretation des Gentechnikgesetzes seitens der EU. Sie wird für Ende März 2016 erwartet. Laut dem Landwirtschaftlichen Forschungsrat wird das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft in den kommenden Monaten eine Pflanzenzüchtungsstrategie veröffentlichen, die sich mit dieser Thematik befasst.

Wie die Interpretation auf Schweizer und europäischer Ebene ausfällt, ist eher eine politische als eine wissenschaftliche Frage. Bei einer ausschliesslich prozessbasierten Interpretation fielen Genom-editierte Pflanzen wahrscheinlich unter das Gentechnikgesetz, sagt Joachim Schiemann vom deutschen Julius-Kühn-Institut. Komme man aber zu der Interpretation, dass das Gesetz sowohl eine prozess- als auch eine produktbasierte Regulation berücksichtige, so würden diese Pflanzen wie herkömmliche Züchtungen behandelt.

Für die Umweltwissenschafterin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich ist die ganze Debatte Augenwischerei. Da sich auch mit Crispr-Cas9 artfremde Gene ins Pflanzengenom einschleusen lassen, sieht sie die Gefahr, dass auch solche Pflanzen vom Label der Gentechnik befreit werden. Das sei aber ausdrücklich nicht gemeint, sagt Weigel. Die Forscher fordern deshalb nicht nur die Ausnahme Genom-editierter Pflanzen vom Gentechnikgesetz, sondern auch Richtlinien für deren Herstellung. Dazu gehörten eine Dokumentation jeglicher Erbgutveränderung und der Nachweis, dass eine Pflanze keine artfremde Erbsubstanz enthalte.

Doch solange Richtlinien nicht gesetzlich einforderbar sind, mag es manchem Verbraucher schwerfallen, Vertrauen in die Herkunft des Futters seines glücklichen Biohuhns zu behalten.